Montag, 11. Januar 2010

Bye Bye, AOL Deutschland

Es war im Sommer 1995. Ich war als Redakteur bei der Consumer-Electronics-Zeitschrift HiFi Vision zuständig für Computer und Neue Medien. Wer damals online gehen wollte, hatte mehr oder weniger zwei (halbwegs bezahlbare) Optionen: CompuServe oder T-Online. Dann kam der Paukenschlag: America Online, der damals größte und modernste Onlinedienst der Welt, wollte sich mit Bertelsmann zusammentun, dem damals größten Medienhaus Europas - und die Konkurrenz wegfegen.

AOL sollte das neue Kind heißen - und ich gehörte zu dem kleinen Kreis der Privilegierten, die zum Beta-Test eingeladen wurden. Die Diskette, die man mir damals zuschickte, habe ich heute noch. Und als ich im Oktober 2009 Marianne Stroehmann traf, damals seit einem knappen Jahr Chefin der AOL-Werbetochter AOL Advertising, erzählte ich ihr davon. Eine solche Diskette, mutmaßte Stroehmann, sei heute bestimmt einiges wert.

Zwei Monate später - kurz vor Weihnachten, wurde Stroehmann Geschäftsführerin von AOL Deutschland. Ich schrieb ihr eine Glückwunsch-Mail und bat sie um ein Interview nach den Weihnachtsfeiertagen. Sie bedankte sich und sagte zu.

Heute morgen um zehn war unser Interview-Termin. Ich wartete vor meinem Computer auf den Anruf aus der AOL-Zentrale - er kam nicht. Am Nachmittag erreichte mich eine anonyme Mail: Bei AOL würden die Lichter ausgehen, ein Drittel der Gesamtbelegschaft müsse gehen, in Europa gar jeder Zweite. Ein Nachbohren beim Pressesprecher brachte die Gewissheit: AOL Deutschland wird dicht gemacht, alle Büros geschlossen, 140 Mitarbeiter gekündigt. 

So schade es ist, diesen großen Namen aus der deutschen Internet-Szene verschwinden zu sehen - es war vorhersehbar: Seit der DSL-Revolution von T-Online im Jahr 2000 war AOL auf dem absteigenden Ast. Das Konzept eines geschlossenen Portals hatte sich überlebt, damit auch das Alleinstellungesmerkmal von AOL. 2006 gab man das Zugangsgeschäft auf, noch ein Grund weniger für ehemalige AOL-Kunden, ausgerechnet die AOL-Seiten anzusurfen.

Dass Stroehmanns neuer Bürostuhl ein heißer sein würde, hatte ich geahnt. Innerhalb von nur zwei jahren war sie die dritte Deutschland-Statthalterin. Dass der Stuhl so heiß sein würde, wusste ich freilich nicht.

Meine AOL-Mailadresse habe ich noch. Mal sehen, wie lange sie noch funktionieren wird.  



1 Kommentar:

  1. Wenn ich an AOL denke, denke ich an deren impertinente CD-ROM-Werbung. Damals gab es Aktionen, die Werbedinger zu sammeln und sie zu AOL Deutschland zu schicken, damit sie an ihrem Spam ersticken. Das der Laden jetzt dicht gemacht wird, ist die späte Strafe dafür >;-)

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