Freitag, 16. Januar 2009

Bin ich behindert?


Wer es geschafft hat, körperlich unversehrt und im Besitz seiner persönlichen Wertsachen von Bord einer US-amerikanischen Passagiermaschine zu entkommen, der mag die Plakate auf europäischen Flughäfen vielleicht mit Befremden zur Kenntnis nehmen. Aber es ist wahr: Flugpassagiere haben Rechte. Schon seit 2005 in der EU - und vielleicht ja bald auch wieder in God's own Country.

Allerdings haben die Rechte von Flugpassagieren auch auf innereuropäischen Strecken ihre Grenzen - zum Beispiel das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das müssen all diejenigen immer wieder schmerzlich erfahren, die - sagen wir mal - größer als 1,90 Meter sind und versuchen, ihre langen Beine in den nicht vorhandenen Raum zwischen der Vorderkante ihres Sitzplatzes und der Lehne des davor befindlichen Sitzes zu quälen. Diese Zone hieß früher einmal "Beinraum" und ist in den letzten Jahren offenbar zur Verfügungsmasse sparwütiger Controller verkommen: Ist doch egal, ob die Passagiere bequem sitzen können - sollen doch nach Mallorca schwimmen, wenn ihnen der Platz nicht reicht.

Großgewachsene Menschen wie ich wissen schon seit Jahrzehnten, dass es einige wenige Plätze an Bord eines jeden Flugzeugs gibt, auf denen wir uns nicht die Kniescheiben quetschen müssen: Die Sitze am Notausgang. Als ich vor 15 Jahren meinen ersten Transatlantikflug von London nach Newark/USA machte, da war es meine Frau, die meine Gesundheit rettete. Im Reisebüro hatte man uns gesagt, es sei bei der Continental nicht möglich, Plätze am Notausgang vorzubestellen. Meine Frau vernahm die Ansage ohne sichtbare Regung - um zuhause sofort zum Telefon zu greifen und die europäische Continental-Buchungszentrale anzurufen und der Mitarbeiterin am Telefon in äußerst reiseverkehrskauffraulich-professionellem Tonfall mitzuteilen, sie hätte "hier zwei Paxe für Newark, die Plätze in der Exit Row brauchen." Kein Problem, Ma'am, thank you for calling.

In den Jahren danach wurden die Airlines immer hartleibiger bei der Verteilung dieser Plätze. Vorbestellung wurde de facto unmöglich, "die Crew will die Passagiere sehen, die auf die Notausgangsplätze kommen, Sicherheit, verstehen Sie". Jahrelang half nur: Früh am Check In sein und den eigenen Charme spielen lassen.

Das hilft jetzt nicht mehr in jedem Fall. Als wir im Januar 2007 mit American Airlines von Miami via Washington nach München fliegen mussten, eskalierte die Situation. Am Check In in Miami quittierte die Frau am Schalter meine Frage nach einem Platz am Notausgang nur mit spöttischem Gelächter: "Diese Plätze werden extra verkauft, Honey! Aber egal, die sind ohnehin schon ausgebucht." Auf meine ungläubige Frage, wie es denn sein könne, dass nach Jahren des panischen Safety First nun ausgerechnet diese sicherheitsneuralgischen Plätze nicht mehr an Menschen vergeben würden, die dort im Fall des Falles hilfreich sein könnten, sondern an die mit der dicksten Brieftasche, wusste sie auch keine schlüssige Antwort. In der Kabine winselte ich dann noch einmal eine Stewardess an und bekam tatsächlich einen Economy-Plus-Seat (der hatte etwa soviel Beinraum wie ein normaler Lufthansa-Economy-Seat Anfang der 90er Jahre).

Beim Umsteigen in Washington versuchte ich, einen besseren Platz zu bekommen, erreichte damit aber das genaue Gegenteil: Wir bekamen Mittelplätze im hinteren Teil der Maschine, die so eng waren, dass ich sie vermutlich schon bei einem Inlandsflug von Köln nach Düsseldorf als indiskutabel abgelehnt hätte - aber von Washington nach München fliegt man über zehn Stunden. Also den Rufknopf gedrückt, die Stewardess mit der Situation konfrontiert und um Abhilfe gebeten. Als sie mit dem Kopf schüttelt, konkretisiere ich die Herausforderung: "Sie müssen eine Lösung für dieses Problem finden, sonst könnte es sein, dass ich ein medizinisches Problem bekomme." Was nichts anderes heißt als: "Dann verklage ich Ihre Airline und hinterher gehört dieses Flugzeug nicht mehr Ihnen sondern mir". Die Dame lässt sich nicht lumpen und erwiedert: "Sir, möchten Sie das Flugzeug verlassen?" "Nein", erkläre ich ihr, "das ist keine Option, denn erstens bin ich gerade offiziell aus der USA ausgereist und kann jetzt nicht einfach wieder einreisen, zweitens habe ich eine Menge Geld für das Ticket bezahlt und drittens werde ich morgen in München erwartet." Fünf Minuten später sitzen meine Frau und ich auf Economy-Plus-Sesseln - und können die Maschine in München tatsächlich aufrecht auf unseren Beinen stehend verlassen. Das war knapp.

Amerikanische Fluglinien bieten ein Service Level knapp über Viehtransport, das ist bekannt. Auch bekannt ist, dass nahezu jede namhafte US-Airline entweder hart am Rande der Pleite operiert oder bereits Gläubigerschutz nach Chapter 11 beantragt hat. Einen Zusammenhang zwischen fehlendem Reisekomfort und fehlenden Einnahmen wollte offenbar noch niemand herstellen.

Die Unsitte, ein Mindestmaß an Lebensraum nur noch gegen Extra-Kohle herauszurücken, hat inzwischen auch Europa ergriffen. Schon seit Jahren bietet LTU auf Langstrecken Platz gegen Aufpreis an, wobei ich 250 Euro pro Strecke und Sitz einfach unverschämt finde. Die Plätze am Notausgang werden - so haben es mir mehrere Stewardessen erklärt - gegen Aufpreis angeboten, interessanterweise habe ich jedoch noch nie ein entsprechendes Angebot gezeigt bekommen, weder auf einer Reise-Website im Internet, noch im Reisebüro.

Vor zehn Tagen flogen wir mit Air Malta von Valletta nach München. Aus unerklärlichen Gründen hatte die Airline darauf bestanden, dass wir uns bereits zwei volle Stunden vor Abflug am Check In einfinden (auch so ein Aufreger-Thema). Dennoch: Plätze am Notausgang - Fehlanzeige! In der Kabine bestätigte mir die Stewardess, dass die Exit Seats schon lange zuvor gegen Aufpreis gebucht worden seien. Den menschenunwürdigen Bein-Nichtraum erklärte übrigens ein Air-Malta-Bordvideo: Indem mehr Passgiere in ein Flugzeug gequetscht würden, leistete Air Malta ihren Beitrag zur CO²-Reduzierung. Ah ja. Mit äußerster Selbstbeherrschung überstand ich den 2,5-Stunden-Flug, und eine Stunde später taten die Knie auch fast nicht mehr weh. Und dann sah ich am Flughafen wieder dieses Plakat, das mich als EU-Bürger darauf hinweist, dass ich Rechte habe.

Also bin ich auf die Website der EU-Kommission zum Thema Passenger Rights gegangen und habe mich informiert. Die haben dort sogar ein Video, das Behinderte oder Menschen mit eingeschränkter Beweglichkeit darüber informiert, dass alle Flughäfen und Airlines innerhab der EU dazu verpflichtet sind, ihnen das Betreten, den Aufenthalt an Bord und das Verlassen des Flugzeugs zu erleichtern - und zwar ohne Aufpreis und Benachteiligungen. Bin ich behindert? Nun, wenn ich in einem solchen Sitz eingepfercht bin, ist auf jeden Fall meine Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt. Ich habe den EU-Bürokraten eine Mail geschrieben und sie gefargt, wie ich mich verhalten soll. Noch haben sie nicht geantwortet -ich halte euch auf dem Laufenden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen